Wer war Ihre Superheldin/Ihr Superheld in der Kindheit? Wer hat Ihnen als Kind, in Ihrer Jugendzeit Mut gemacht, Sie fasziniert und angespornt nicht aufzugeben? Wen haben Sie atemlos von Abenteuer zu Abenteuer begleitet? Welche Heldenfigur hat Ihnen vielleicht sogar Trost gespendet? Wie und wer wollten Sie als Kind am liebsten sein?
Es ist faszinierend zu beobachten was geschieht, wenn ich meinen Coaching-Klienten innerhalb des Coaching-Prozesses diese Fragen stelle. Eine strahlende Tür in ihre Kindheit öffnet sich, die hinab zu alten imaginären Abenteuern führt und die zeigt, wie sehr ihre Heldenfiguren ihr Leben mitgeprägt haben. Einige Stärken ihrer Helden haben sie bewusst oder unbewusst übernommen und in ihre Persönlichkeit integriert und andere Stärken ihrer Helden liegen wie noch zu bergende Schätze in ihnen verborgen.
Es spielt keine Rolle welche Namen unsere Heldinnen / Helden tragen, wichtig ist nur, was sie für uns bedeutet haben bzw. bedeuten. Denn sie haben uns mehr beeinflusst als wir uns vorstellen können. Sie haben uns ein Bild davon gegeben, was wir als heldenhaft und erstrebenswert ansehen und sie haben uns auch gelehrt, dass Helden es nicht immer einfach haben, aber trotzdem immer weitermachen.
Auch Erwachsene lieben Heldenfiguren
Und selbst als Erwachsene vermögen uns Abenteuer-Geschichten weiterhin auf eine kindlich-begeisternde Weise mitzureißen. Wer von uns hat nicht schon mal einen Abenteuerfilm im Kino angeschaut und beim Verlassen des Kinosaals waren wir so beflügelt, gestärkt, ja, regelrecht berauscht von all den gefährlichen Abenteuern, die die Helden des Films durchgestanden haben, dass wir uns dachten: „Auch ich will für das Gute, für etwas Größeres kämpfen und Teil eines spannenden Abenteuers sein. Und ich werde durchhalten und siegen.“ Ist es uns nicht allen schon so ergangen, nach Filmen wie „Herr der Ringe“, „Star Wars“ oder anderen Heldengeschichten? Der ganze Abend war dann von diesem inspirierenden Gefühl durchzogen und es schien, als könnten wir die Mühen des Alltags mit großen Schwingen überfliegen.
Am nächsten Morgen
Doch dann kam der nächste Morgen, der Wecker klingelte, und all die „gewöhnlichen“ Aufgaben des Alltags warteten auf uns und sie schienen wie mächtige Berge auf uns niederzustürzen und uns runter zu drücken. Und wir fragten uns, wie kommt es, dass wir gestern noch die Welt retten wollten, aber heute kaum die Kraft haben aus dem Bett zu steigen? Und es erschien uns tausendmal einfacher gegen Drachen oder gegen feindliche Zivilisationen im Weltraum zu kämpfen, als uns unserem Alltag zu stellen mit all den kleinteiligen Dingen, die getan werden mussten.
Heldentaten im Alltag
Doch welches Gefühl stimmt nun? Sind wir nun der Held der die Welt rettet oder sind wir der Mensch, der sich von einem Tag zum nächsten quält, gekettet an ein Leben mit nie enden wollenden, ermüdenden Alltagsaufgaben?
Wir sind beides – Alltagsmensch und Held. Tatsache ist, dass das eine mit dem anderen untrennbar verbunden ist, denn an jedem Tag an dem Sie Ihren Alltag meistern, jedes Mal, wenn Sie etwas getan haben, dass andere Ihnen nicht zugetraut haben, jedes Mal, wenn Sie Selbstzweifel überwunden haben, jedes Mal, wenn Sie einem Menschen die Hand zur Hilfe ausgestreckt haben, jedes Mal, wenn Sie für sich selbst oder für andere eingestanden und aufgestanden sind, jedes Mal, wenn Sie ein verletzendes Wort nicht ausgesprochen haben, obwohl etwas in Ihnen sie dazu gedrängt hat es zu tun, haben Sie eine Heldentat vollbracht.
Denn all diese Taten, haben die Welt ein Stück besser gemacht, haben sie auf eine bestimme Weise ein Stück gerettet. Es kann sein, dass niemand außer Ihnen es gesehen hat, doch das Entscheidende ist, dass Sie es wissen. Denn relevant für Ihr Selbstwertgefühl ist lediglich, was Sie über sich selbst denken und nicht, was andere von Ihnen halten.
Der Heros in tausend Gestalten
Im 20. Jahrhundert erkannte Joseph Campbell (Professor für Mythologie), dass Mythen, Sagen, Märchen und Religionen die Menschheit, seit sie denken kann, begleitet, beeinflusst und die Menschen schon seit jeher von Helden-Geschichten fasziniert sind. Schließlich verglich er die Mythen auf der ganzen Welt und destillierte daraus eine einheitliche Grundstruktur, welche er in seinem Buch „Der Heros in tausend Gestalten“ veröffentlichte. Die Stationen dieser Heldenreise inspirierten unzählige Regisseure (z. B. George Lucas, Steven Spielberg, Stanley Kubrick etc.) zu ihren Heldengeschichten.
Das Faszinierende ist, dass diese Heldenstruktur nicht nur für die mythologischen Geschichten gelten, sondern auch die „großen“ Helden unserer Welt durch diese sogenannten Helden-Stationen hindurchgehen mussten, wie beispielsweise Mahatma Gandhi, Mutter Teresa oder Martin Luther King.
Die Stationen der Heldenreise
Der Drehbuchautor Christopher Vogler verfeinerte schließlich das Modell von Campbell und entwickelte daraus das Heldenreise-Konzept welches sich in folgende Punkte gliedert:
- 1.) Ausgangspunkt ist die gewohnte, langweilige oder unzureichende Welt des Helden.
- 2.) Der Held wird von einem Ereignis / einem Boten zum Abenteuer gerufen.
- 3.) Diesem Ruf verweigert er sich zunächst.
- 4.) Ein Mentor (Berater) überredet ihn daraufhin die Reise anzutreten und das Abenteuer beginnt.
- 5.) Der Held überschreitet die erste Schwelle, nach der es kein Zurück mehr gibt.
- 6.) Der Held wird vor erste Bewährungsproben gestellt und trifft dabei auf Verbündete und Feinde.
- 7.) Nun dringt er bis zur tiefsten Höhle, zum gefährlichsten Punkt, vor und trifft dabei auf den Gegner.
- 8.) Hier findet die entscheidende Prüfung statt: Konfrontation und Überwindung des Gegners.
- 9.) Der Held kann nun den „Schatz“ oder „das Elixier“ (konkret: einen Gegenstand oder abstrakt: besonderes, neues Wissen) rauben / sich zu eigen machen.
- 10.) Er tritt den Rückweg an, während dessen es zu seiner Auferstehung aus der Todesnähe kommt.
- 11.) Der Feind ist besiegt, der Schatz befindet sich in der Hand des Helden. Er ist durch das Abenteuer zu einer neuen Persönlichkeit gereift.
- 12.) Das Ende der Reise: Der Rückkehrer wird zu Hause mit Anerkennung belohnt.
Weshalb nur Sie tun können, was Sie tun können
Ob Sie es glauben oder nicht, auch Sie selbst befinden sich gerade auf einer dieser Helden-Stationen, sowohl in Bezug auf Ihr ganzes Leben, als auch in Bezug auf Bereiche in Ihrem Leben – große oder kleinere. Nicht nur die Helden in den fiktionalen Geschichten müssen durch diese Stationen hindurch, sondern auch Sie. Station für Station, damit Sie das Potential, das in Ihnen liegt, zur Entfaltung bringen können.
Und hier kommt das absolut Entscheidende: Sie sind einzigartig. Auf der ganzen Erde sind Sie einzigartig. Wie nur Frodo in „Herr der Ringe“ seine spezielle Aufgabe vollbringen konnte – und wenn er es nicht getan hätte, kein anderer Charakter es hätte ausführen können – genauso können auch nur Sie alleine Ihre Aufgabe in dieser Welt erledigen. Niemand kann das tun, was Sie tun können. In jeder Geschichte ist jeder Charakter von Bedeutung und ohne diesen Charakter könnte die Geschichte nicht funktionieren, denn wenn eine Figur in der Geschichte nicht relevant wäre, so wäre sie auch nicht in der Geschichte.
Sie sind die Hauptdarstellerin / der Hauptdarsteller in Ihrer persönlichen Geschichte
Wichtig zu wissen ist auch, dass Sie ganz alleine die Hauptdarstellerin / der Hauptdarsteller in Ihrer Geschichte, also in Ihrem Leben sind. Alle anderen Menschen um Sie herum sind Nebendarsteller, mit einer größeren oder kleineren Rolle darin, je nachdem, wie viel Sie zulassen. Und genauso sind Sie Nebendarsteller im Leben anderer. Und das hat auch seine Berechtigung, da andere Menschen nicht immer um Sie sind, doch Sie Selbst immer mit Ihrem Selbst zusammen sind. Unausweichlich, unentrinnbar – egal wo Sie hingehen.
Deshalb ist es von enormer Bedeutung, welche Rolle Sie sich selbst in Ihrem Leben geben. Da Sie der Drehbuchautor, der Regisseur und der Hauptdarsteller in Ihrem Leben sind, ist die Hauptfrage: Welche Rolle schreiben Sie für sich selbst mit Ihren Gedanken und Gefühlen, wie inszenieren Sie als Regisseur ihren eigenen Hauptdarsteller mit Ihren Worten und Handlungen und mit welcher inneren und äußeren Haltung gehen Sie von Lebensszene zu Lebensszene? Ist es die Haltung eines Opfers oder die eines Helden?
Geben Sie den Umständen die Schuld und verharren dabei, mit der Konsequenz, dass Sie sich schlecht fühlen oder stehen Sie immer wieder auf und gehen weiter, egal was hinter Ihnen liegt? Was auch immer Sie bisher getan haben: Die Welt und die Menschen brauchen die Heldin / den Helden in Ihnen – Alltag für Alltag.
Wie sieht die Heldin / der Held in Ihnen aus?
Folgende Fragen helfen dabei das herauszufinden:
- Wer war Ihre Superheldin / Ihr Superheld in der Kindheit?
- Weshalb war sie Ihre Superheldin? Weshalb war er Ihr Superheld?
- Welche Stärken hatte sie oder er?
- Welche Stärken davon haben Sie bereits in sich und welche könnten Sie noch ausbauen?
- Auf welcher Heldenreise-Station befinden Sie sich gerade?
- Welches ist die nächste Station und gehen Sie zielbewusst darauf zu oder zögern Sie? Wenn ja, weshalb?
- Welche Unterstützung / welche Verbündeten brauchen Sie um weiter voran zu kommen?
Weiser Rat
Es ist wichtig sich immer wieder bewusst zu machen, dass all Ihre Mitmenschen sich ebenfalls auf ihrer jeweiligen Heldenreise befinden und wenn Sie einem anderen Menschen begegnen, dann wissen Sie nicht, auf welcher Helden-Station sich dieser Mensch gerade befindet. Sie wissen nicht in welchen Tälern er gerade steckt, welche Hindernisse er gerade überwinden, welche Höhen er gerade mühevoll besteigen muss oder gegen welche (inneren) Drachen er gerade zu kämpfen hat. Der griechische Philosoph Philon von Alexandria legte uns daher allen folgende große Weisheit ans Herz: „Sei freundlich, denn jeder, dem Du begegnest, steht in einem harten Kampf.“